Antwort

Liebe Maike,

Entgegen deiner Vermutung kommt deine E-Mail zum perfekten Zeitpunkt. Von Düsseldorf nach Sapporo zu kommen, dauert dann halt doch 16 Stunden und da meine Gastfamilie wie immer auch heute schwer beschäftigt ist, hat meine Gastmama mich sehr früh zum Flughafen nach Fukuoka gebracht. Summa summarum resultiert das nun in mehr als zwei Stunden Wartezeit hier in Fukuoka und dann nochmal vier Stunden in Sapporo/Shin-Chitose.
Während ich gerade die erste Stunde in Fukuoka mit Einchecken, Bummeln und Eiscreme verbracht habe, habe ich unter anderem deine Mail gelesen und mir gedacht, dass heute doch eine gute Gelegenheit wäre, hier mal wieder zu schreiben. Da du mit deinem dezenten Hinweis auf die Zeit, die seit dem letzten Eintrag vergangen ist, natürlich auch völlig recht hast, stehe ich nun also in der Internetecke und tippe. Ich hoffe es ist dir recht, wenn ich deine Mail nun sozusagen in Teilen „öffentlich“ beantworte, denn ich denke, dass viele von deinen Fragen auch für den Rest der hier lesenden Welt interessant sein wird.

+ Durchsage an alle +
Ich weise darauf hin, dass dies ein langer Blogeintrag ist. Maike hat mich mit ihrer Mail so sehr motiviert und sie kam zu so einem günstigen Zeitpunkt hier in meinem Warteloch am 福岡空港, dass ich mal wieder in eine förmliche Schreibwut verfallen bin. Nehmt euch also ein leckeres Heißgetränk und etwas Zeit zur Hand, bevor ihr weiterlest^^
+Durchsage Ende +

Die Frage nach der Adventszeit in Japan scheint ja viele Leser zu beschäftigen. Ich denke die wichtigsten Punkte, die im Vergleich zu Deutschland so auffallen, sind folgende:
Die Weihnachtsmusik überall. Egal ob im Supermarkt Anfang November oder jetzt hier in den Restaurants am Flughafen. Überall werden Weihnachtslieder gespielt. In der Regel Instrumentalversionen von englischsprachig verfügbaren Klassikern: „Hark, the Herald Angels Sing“, „Engel haben Himmelslieder“, „We wish you a merry Christmas“, „Sleigh Ride“ sind so die, die mir jetzt am ehesten einfallen. Für mich persönlich steht die fast allgegenwärtige Musik im Kontrast zu der Wichtigkeit des Festes. Obwohl die Innenstädte beleuchtet sind, viele Läden Weihnachtsdeko inkl. Baum aufstellen (Ich hab grad wieder erst einen unten in der Empfangshalle am ANA-Schalter gesehen!) und alles „Weihnachten“ ruft, ist das Fest an sich dann völlig unbedeutend. Ein Tag wie jeder andere. Am 23.12. ist hier in Japan Feiertag, denn es ist der Geburtstag des Kaisers, aber das ist dann bis Neujahr auch alles. Weder Heiligabend noch Weihnachten sind irgendwie geschützt/wichtig/besonders. Die meisten Leute gehen zu KFC an Heiligabend. Kein Mensch weiß, woher dieser „Brauch“ kommt, aber ich bin gespannt, ob wir das am 24. beobachten können. Bei einem Anteil von 2% Christen oder so im Land, macht es natürlich Sinn, dass Weihnachten selbst nicht „gefeiert“ wird, aber komisch ist es für mich trotzdem. Ich habe das Gefühl, dass hier alle also auf den Dekoaspekt von Weihnachten steil gehen. Das ist für mich doch immer wieder schwierig hintereinander zu bekommen. Ein Kaufhaus im Bahnhof Hakata hat dieses Jahr eine Weihnachtswerbekampagne mit einem Roboter im Weihnachtsfrau-Kostüm mit dem Slogan „Ultimate X-Mas“…. Mir sind die Hintergründe vollkommen klar, aber der Advent ist für mich eben die Zeit vor Weihnachten, die klimatisch auf diese 2 ½ Tage Familie und sonst nichts hinarbeiten. In Deutschland stirbt da ja alles aus. Ich bin gespannt, wie Andreas und ich das wahrnehmen werden. Insbesondere im Vergleich mit dem Neujahrsfest, dass ja hier eher den Familienfeier-des-Jahres-Zuschlag bekommt.

Leuchten tun japanische Innenstädte übrigens immer – zur Adventszeit wird es nur noch ein bisschen mehr^^

Eine weitere Fragen zielt auf die Schule ab: Mein erstes Drittel ist vorbei!! Oh mein Gott!! Es ist so krass. Als ich am Freitag nach der Manga-Klasse nach Hause gefahren bin, fühlte sich alles nach normalem Wochenende an, aber de facto hat meine Klasse sich aufgelöst, da meine beiden Mitschülerinnen der letzten drei Wochen nun wieder in ihre Heimatländer geflogen sind und ich ja erstmal im Urlaub bin. Im neuen Jahr geht’s dann also komplett neu los.
Mal zu den technischen Daten: Bei GenkiJACS wird für die Grundstufe mit „Genki – An integrated course for Japanese“ gearbeitet. Ich wurde im Oktober im ersten der beiden Bücher in Kapitel 11 eingestuft. Insgesamt sind es 23 Kapitel und wir sind jetzt in Kapitel 21. Allerdings haben wir auch zwei Kapitel übersprungen, die erst hinterher kommen. Wir haben also neun Kapitel in zehn Wochen absolviert. Kanji sollte ich jetzt ca. 250 beherrschen, was aber noch nicht ganz der Wahrheit entspricht. Im Schnitt machen wir hier 16 Kanji pro Woche, sind also etwas langsamer als ihr an der Uni :]
Zur Zeit sieht es also so aus, dass ich Anfang/Mitte Feburar mit der Grundstufe abschließen werde und dann in die Mittelstufe komme. Dann werde ich auch anfangen, Extrastunden für die Testvorbereitung im Sommer zu absolvieren. Da kommen dann auch wie bei dir ein Mal pro Woche Aufsätze, die ich schreiben muss und die dann korrigiert werden. Ich denke, das ist sehr wichtig, bisher machen wir das leider noch gar nicht. Wenn ich mir die Ambitionen einiger Mitschüler ansehe, kann ich das auch durchaus nachvollziehen. Ich allerdings freue mich schon sehr darauf, auch wenn du mich noch genug schimpfen und fluchen hören wirst, wenn es erstmal so weit ist…
Ich selbst kann meine Fortschritte schlecht einschätzen. Ich weiß, dass ich viele neue Formen und Grammatiken gelernt habe, gefühlt übernehme ich aber nur einen Bruchteil davon in meine tägliche Kommunikation. Auch deswegen hoffe ich auf die Texte bald. Am Freitag hat mir ein japanischer Freund, den ich seit drei oder vier Wochen nicht mehr gesehen hatte, aber gesagt, dass sich meine Aussprache und Grammatik merklich verbessert hat, seit er mich zuletzt gesehen hatte. Darüber habe mich natürlich entsprechend gefreut 😀 Ich habe meine Lehrbücher natürlich mitgenommen und habe fest geplant ein oder zwei Tage auch einfach mal dafür zu nutzen, in Ruhe zu lernen, Stoff zu wiederholen und zusammen zu fassen. Wenn man sich da einmal dransetzt, dauert es ja dann in der Regel doch nicht so lange, wie man vorher befürchtet. Für das neue Jahr möchte ich dann unbedingt schauen, ob ich nicht doch nochmal einen festen Sprachtandempartner ausfindig machen kann. Ich habe schon mehrere Leute getroffen, die Deutsch lernen, aber die Anbahnung eines festen, regelmäßigen Treffens ist dann doch irgendwie schwierig.

Deine letzten Fragen beziehen sich auf Andreas und meine Reise hier in Japan. Bisher haben sich schon einige Ideen angesammelt. Da Andreas und ich nicht so die wilden Sightseer sind, gibt’s nicht so viele Ausflugziele wo wir hinwollen und es wird sich sicher auch einiges spontan entscheiden. Angepasst wie ich zum Teil auch schon bin an die lokalen Gepflogenheiten, habe ich vor allem Speisen, die ich gemeinsam mit ihm Essen möchte, nachgedacht. Ich habe gelesen, gehört und auch schon selber gemerkt, dass das sehr typisch für Inlandsreisende Japaner ist: Die Planen ihren Aufenthalt nach den Speisen, die sie essen wollen. In der Regel hat jede Region in Japan eine Handvoll Dinge für die sie berühmt ist: Fukuoka ist unter anderem bekannt für die Hakata-Seide, Hakata-Ramen, Erdbeeren und so lustiges Fleischspieße, deren Namen ich nicht kenne. In Hokkaido sind Shio-Butter-Ramen und Dschingis Kahn ganz große Favoriten. Beide Gerichte haben sicherlich auch damit zu tun, dass Hokkaido innerhalb Japans die Region mit der meisten Viehhaltung und Milchwirtschaft ist: Es gibt viel Butter (Butter-Ramen) und Schafe (Dschingis Kahn ist eine Art gebratenes Lammfleisch – ich werde berichten :)). Aber natürlich gibt es auch bekannte Fischsorten und wasweißdennichalles.
Außerdem möchte ich Udon, Soba, Takoyaki, Yakiniku, Shabu-shabu, Nabe, Sushi und noch ganz viele andere Sachen essen^^ Yummy!! In diesem Zusammenhang mal eine ganz dringende Bitte an alle Leser hier: Wenn ich wieder in Deutschland bin, und einen von euch Frage, ob er oder sie Lust hat, japanisch Essen zu gehen, werde ich mich nicht für meine Reaktion auf den Satz „Ach ne du, lass mal, roher Fisch ist nicht so meins.“ verantwortlich machen lassen…. Japanisches Essen hat sooooo viele Facetten, roher Fisch ist da der geringste Teil – ok? Ok. Danke.
Zurück zum Ferienprogramm: An Sehenswürdigkeiten habe ich bisher nur das Biermuseum in Sapporo, Onsen und mindestens ein Ainu-Dorf auf dem Plan. Andreas und ich werden sicherlich nochmal in Ruhe gemeinsam den Reiseführer wälzen.
Da wir in Sapporo in einer eigenen kleinen Ferienwohnung wohnen, habe ich mir von meiner お母さん (Okaasan – Gastmama) erklären lassen, wie ich Reis und Miso-Suppe koche. Das sind die wichtigsten Bestandteile eines japanischen Frühstücks :] Und ich habe auch schon gemerkt, dass ich mich schnell an den Reis gewöhnt habe. Wenn ich morgens aufstehe, möchte mein Magen in der Regel als erstes Mal eine Schüssel ご飯 (Gohan), sonst läuft gar nichts. お母さん hat heute morgen auch erstmal wieder den Vogel abgeschossen, was Nettigkeit und Niedlichkeit angeht. Mamas sind irgendwie doch überall auf der Welt gleich. Während in Deutschland Brot und Salz zum Einzug geschenkt werden, damit diese beiden wichtigsten Dinge niemals ausgehen, hat meine お母さん nach der Erklärung drei große Beutel voll rohen Reis in meinen Koffer gepackt!!!! Sie sind riesig! Und für zwei Wochen Verzehr für zwei Personen ausgelegt! Mir sind fast die Augen rausgefallen, als sie damit ankam. Sie meinte, Reis sei so schrecklich teuer, von dem Geld sollten wir lieber lecker Essen gehen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich für die drei Wochen trotzdem noch Miete bezahle, denn ich hab ja immer noch Sachen im Zimmer. Auf jeden Fall war es meganiedlich und lieb! Der Typ am Gepäckscan hat glaube ich auch nicht schlecht gestaunt….
Generell muss ich hier einfach nochmal erzählen wie unglaublich toll und lieb meine Gastfamilie ist. Okaasan arbeitet als Arztassistentin und Otoosan als Altenpfleger. Soviel habe ich mittlerweile an gesicherten Informationen. Mit ihren drei Kindern, davon jedes in einer Schulstufe und Otoosan im Schichtdienst ist eigentlich immer was los. Meine Okaasan ist darüber hinaus, wie ich gestern rausgefunden habe, zertifizierte Lehrerin für Teezeremonien, Ikebana und (Das war der allergrößte Knülller!!) für japanische Gebärdensprache!!!!!!!!! Für nächstes Jahr hat sie mir nun versprochen, dass wir mal gemeinsam eine Teezeremonie machen und über die Nummer mit der Gebärdensprache haben wir uns natürlich ziemlich lange unterhalten. Ich konnte ihr noch einige interessante Dinge aus der deutschen Gebärdensprache erzählen und kann jetzt in japanischer Gebärdensprache sagen „Mein Name ist Claudia“ und „Fukuoka“ – Obwohl ich wahrscheinlich ein paar Probleme mit dem Alphabet bekomme, denn das ist prinzipiell dann doch anders. Zum Flughafen haben sie mich dann heute auch noch überraschend gebracht und ich glaube die Kinder haben so ganz langsam verstanden, dass sie mit mir auch gerne Englisch üben können. Mal schauen, was das neue Jahr da so bringt. In jedem Fall bin ich nach zehn Wochen (!) überzeugt, mit meine Gastfamilie den totalen Glücksgriff gemacht zu haben :] Ich fühle mich sehr heimisch dort.

So. Mein Boarding fängt gleich an und das war jetzt nur die Antwort auf deine eine Mail. Ich hoffe, dass ich in Sapporo auch ein bisschen Zeit finde, um abzuschalten und vielleicht mal durch die vielen Bilder zu schauen, die sich angesammelt haben auf meinem Handy und die ich oft mit einer ganz bestimmten Person zu Hause im Hinterkopf geschossen habe. Dementsprechend drängen diese Bilder an die Öffentlichkeit. Sie wollen gesehen werden!
Themen sind unter anderem: Japanische Burgen, Rainbow Pride Parade Fukuoka, Kanada in Fukuoka, interessante Einkaufsfunde, Lichterfestivals, Erbauung großer Holzbuddhas, japanische Gärten, Socken, Hochzeitsgeschenke, Lacrosse, Wolle, Gummibärchen, Türen und Dampfnudeln. Gibt es Präferenzen im werten Publikum?

Liebe Grüße vom 福岡空港

Claudia

P.S.: Das mit dem Skypen letzte Woche tut mir total Leid >.< Andreas und ich haben uns vorgenommen, dass es ein nächstes Mal geben wird und das nächstes Mal besser wird :] やくそく!

6 thoughts on “Antwort

  1. Mutti 13. Dezember 2015 at 9:08

    Hey Claudia!

    Wo ich da gerade so deinen Eintrag gelesen have

  2. Mutti 13. Dezember 2015 at 9:14

    Ups, war noch nicht fertig! 😉

    Vermisst du eigentlich deutsches Brot? Ich weiß, die japanische Küche ist ganz anders, aber da stellte sich mir trotzdem die frage, ob man brot isst und ob man gutes Brot kaufen kann? (Wenn du wieder da bist,gehe ich auch gern mit dir japanisch essen. Ich liebe udon!)

    Und wie kommst du im alltag mit der sprache zurecht? Du schreibst zwar was du schon kannst und was noch kommt, aber ich kann das so schlecht einschätzen. Kommst du mit leuten ins Gespräch? Kannst du dich gut unterhalten? Auch ohne englisch?

    Und eins noch: deine gastfamilie klingt total nett! Ich bin froh, dass du dich glücklich fühlst! 😉

  3. Sam 13. Dezember 2015 at 13:10

    Hey! Ein neuer Post, Jippie 🙂 Schön, dass du deine Wartezeit so sinnvoll nutzen konntest 🙂
    Es ist schön, dass deine Gastfamilie dich so toll aufgenommen hat! Das macht doch vieles leichter. Und ja, wir werden auch mit dir japanisch essen gehen (Irgendwie fühlte ich mich mit dem rohen Fisch doch angesprochen^^), ich bin auf jeden Fall interessiert, was das denn alles sein soll, denn außer Sushi kannte ich keins von den Wörtern.
    Ich bin ja auf die Fotos von den Socken gespannt^^ Sehen die so anders aus in Japan? Und die Gummibärchen??

  4. Maike 13. Dezember 2015 at 20:52

    Hallihallo 🙂 Hab mich total über deine Antwort gefreut und auch erstmal Chris vorgelesen. Und wir gehen natürlich auch total gerne mit dir japanisch essen (und um deine Aussage zu unterstützen: Ich mag überhaupt keinen Fisch, esse aber super gerne japanisch 😉 )!!!
    Wir wünschen dir und Andreas viel Spaß für euren Urlaub!

    P.S.: Dass deine Gastmama japanische Gebärdensprache beherrscht, ist auch ein witziger Zufall.
    Alles Liebe und viele Grüße von Chris und mir!

  5. お兄さん 13. Dezember 2015 at 21:26

    In einem anderen Land zur gleichen Zeit: Vermisst du eigentlich japanischen Reis? Die deutsche Küche ist ja ganz anders, trotzdem frage ich mich ob man Reis isst und guten Reis kaufen kann.

    Wer sich für den Grund des hohen Reispreises interessiert (der in den nächsten 25 Jahren, vielleicht, evtl. unter Umständen sinken wird), dem kann ich zum Themeneinstieg gerne ein kleines Kurzreferat verlinken oder selber schreiben. 🙂

    Ich nehme einmal Burgen für 500. Danke. Aber ich kann mir gut denken, wer die Person in deinem Hinterkopf ist (wenn es denn immer diesselbe ist). ^_^

    Mein Tandem läuft übrigens ganz angenehm. Hab schon erfahren, dass niemand in Kitakyushu aus Kitakyushu kommt. XD Und ich kann schon 2 Kanji mehr. Jaja, so läuft das bei uns hier in der Klötzchenaufbaugaku. Kann dafür endlich die Himmelsrichtungen auch dem Namen nach und bin nicht mehr auf Farben angewiesen. Kann auch ein paar mehr „W“-Fragen stellen. ^^ Unter maulfaulen, japanischen Hafenarbeitern ohne Schulabschluss komme ich schon fast zurecht. Aber wenigstens mache ich etwas und es ist produktiver als VHS.

    Viel Spaß in Sapporo. Sauft net so viel, 兄.

  6. Peter 16. Dezember 2015 at 3:29

    Hallo Claudia,
    das war ja eine wirklich gut ausgenutzte Wartezeit. Danke für die vielen Informationen und Eindrücke.
    Genießt Eure Zeit.
    LG
    Peter

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