Alternativtitel: Japaner in Ekstase.
Also folgendes: Dortmund spielt das letzte Spiel der Saison. Das Heimspiel gegen den FCB entscheidet über Meistertitel oder nicht Meistertitel. In einer Kommunikationszentrale am Niedersachsenweg beten zwei Herren mittleren Alters genervt und fieberhaft für eine Niederlage. Der Rest der Stadt ist im totalen Ausnahmezustand. Überall schwarz-gelbe Flaggen, schwarz-gelb gekleidete Menschen, Kneipen, die Rudelgucken anbieten. Der Friedensplatz muss zwei Stunden vor Anpfiff wegen Überfüllung geschlossen werden. Angespannte Stimmung macht sich breit. FCB-Fans übernehmen den alten Markt, in der Innenstadt wabern immer wieder Fetzen von Fangesängen durch die Straßen.
Anpfiff!
…
Abpfiff!
Dortmund gewinnt überlegen! Wir sind Meister!!!!!!!!!!! Die Innenstadt befindet sich die gesamte Nacht im Ausnahmezustand. Autokorso, Fangesänge, Bierduschen für die FCB-Fans, Bierduschen für die BVB-Fans, Bierdusche für alle!
Die Herren vom Niedersachsenweg brauchen jetzt Kekse. Viele Kekse.
Am nächsten Mittag: Siegerkorso – Um den Borsigplatz, durch die Innenstadt – Feuerwehr, THW (inkl. der Herren mit den Keksen^^), Sanitätsdienste, Polizei, Fans, Mannschaft – alle sind auf den Beinen. Viele der Anwesenden haben erst gar nicht geschlafen.
Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa! *jubelkreisch*
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Ihr habt das Bild vor Augen, ja?
Gut.
Letzten Freitag habe ich nämlich das japanische Äquivalent zu genau diesem Szenario in Fukuoka erlebt. Das Fazit: Die beiden Herren mittleren Alters, die oben erwähnt worden sind, sollten nach Japan ziehen. Dann hätten sie eine Sorge weniger ._.
Statt um Fußball geht es hier um Baseball. Statt Dortmund gegen den FCB spielen die Fukuoka Softbank Hawks (In Gelb, weiß und schwarz^^) gegen die Chiba Lotte Marines (schwarz). Meine Gastvater hat Karten und zusammen mit Oppa, Vattern und dem Kurzen mache ich mich auf den Weg zum Stadion.

Soweit, so vertraut.
Vattern hat mir schon vor Tagen erklärt, dass es DAS Spiel der Saison ist, die Hawks haben die Möglichkeit den zweiten Titel in der Saison zu holen. Die Tage vorher habe ich persönlich in den Teilen der Stadt, in denen ich immer so rumlaufe, nicht so viel davon mitbekommen.
Auf dem Weg zum Stadion gibt es natürlich jede Menge Leute, die auch hingehen, denn der Fukuoka Dome fasst knapp 40000 Personen bei Baseballspielen. Fangesänge höre ich bisher nicht.
Vattern hat auf dem Weg noch Wacker Stärkung besorgt. Für jeden ein Obento. Also Reis, Fleisch, Fisch, Gemüse, nett angerichtet und gewärmt von der Imbissbude um die Ecke. Stellt euch vor ihr geht ins Stadion und nehmt für jeden Anwesenden eine SchniPo-Schlemmerplatte mit.
Als das Spiel beginnt, sind nicht alle Ränge besetzt (Es gibt ausschließlich Sitzplätze, wenn die beiden Hardcorefankurven ihre Gesänge loslassen, wird aber zumindest dort aufgestanden – Der Rest feuert im Sitzen an – Vorzugsweise nicht mit der eigenen Stimme sondern so Plastikröhren, die man aneinander schlägt), wir packen das Obento aus, wünschen guten Appetit und fangen an zu schlemmen. Die ersten beiden Innings verlaufen ziemlich ruhig. Da beim Baseball immer eine Mannschaft angreift und Punkte machen kann und die anderen verteidigt, ist das Spiel irgendwie… geordneter und ruhiger als so ein Fußballspiel. Das unterstreicht die Familienpicknickstimmung, die für die ersten 2 Innings (ca. 40 Minuten) herrscht. 9 Innings werden insgesamt gespielt, da der Verlauf vom Spielgeschehen abhängt und nicht von der Uhr, ist die Gesamtdauer nicht festgelegt. Vattern geht so vom 3 1/2 Stunden aus. W00t? Okay. Ich hab ja keine Ahnung…
An dieser Stelle ein ganz herzlicher Dank an Ingo von den Dortmund Wanderers – Ja, Dortmund hat ein Baseballteam 😀 Der Ingo hat mir nämlich einen Freitagabend als ich da ein T-Shirt für meinen Gastvater kaufen wollte, mal die grundlegenden Regeln erklärt. Und ganz ehrlich: Ohne die Erklärung hätte ich nur halb so viel Spaß gehabt, weil ich nicht mal die Hälfte vom Spielgeschehen verstanden hätte. Es ist nicht so, dass Baseball übermäßig kompliziert sei, aber die Grundregeln sollte man doch einmal gerafft haben, bevor man sich das anguckt. Das hilft.
Zurück zum Spiel: In der zweiten Hälfte des dritten Innings schlägt Lee Dae-Ho (Wenn der auf’s Feld kommt, wird der Beginn von Harry Belafontes Banana Song gespielt: Daaaaae-yo – Das finde ich witzig^^) einen Homerun. Ekstase, erster Teil! Die Ränge flippen vollkommen aus, alle springen (!) von ihren Sitzen auf, wildfremde Menschen fallen sich in die Arme, Bierdusche für… Ach ne, Falsch. Sorry.
Also. Ekstase: Alle springen von ihren sitzen auf, rufen vor Freude, wildfremde Menschen geben sich High-Five und schlagen ihre Lärm-Röhren aneinander. Fukuoka liegt jetzt 3:0 vorne. Alle setzen sich wieder, es geht schließlich weiter. Ich freu mich natürlich auch mit, ein Homerun ist einfach zu erkennen und alle freuen sich sehr, inklusive mir.
Chiba macht im vierten Inning einen Punkt zur Ehrenrettung, die Chibafans, die in den beiden Blöcken neben unserem streng getrennt vom Rest der Welt sitzen, haben am Anfang ziemlich Alarm gemacht und ihre einzelnen Spieler ausgerufen etc. Alles sehr beeindruckend. Ab dem sechsten Inning werden sie allerdings ruhiger.
Da Chiba als Gast immer zuerst versuchen darf, Punkte zu machen, muss nur die erste Hälfte des neunten und letzten Innings gespielt werden. In dem Moment, als der Werfer von Fukuoka den entscheidenden Ball spielt und Chiba raus ist, ist klar, dass die Hawks gewonnen haben.
Der Ekstase 2. Teil.
Sieht ziemlich ähnlich zum ersten aus. Unten auf dem Feld sind die Spieler etwas ausgelassener, denn die laufen auf’s Feld und bejubeln den Werfer, der das entscheidende Out erspielt hat.
Alle freuen sich fürchterlich, aber mir kommt das Ganze immer noch sehr gesetzt vor. Ich habe das Gefühl, dass die Fans völlig aus sich rausgehen, aber mit dem Jubel, den ich von Hause kenne, hat das wenig zu tun. Nach kurzer Freude setzen sich alle wieder hin und warten auf die Siegerehrung. Still. Es gibt einen Blockabschnitt, in dem die Stimmungsmacher von Fukuoka sitzen, da ist etwas mehr los. Bei uns eher gelöste Zufriedenheit.
Bei der Siegerehrung wird eine gerahmte Fahne übergeben, auf der das Datum und der Titel eingestickt ist. Die Spiele bekommen das Ding jetzt aber nicht in die Hand, um es in den Himmel zu recken oder so, sondern zwei freundliche Damen aus den Reihen der Cheerleader tragen das Ganze vor den Spielern einmal durchs Stadion. Die komplette Symbolik ist anders als ich es kenne.

Nach weiteren 30 Minuten ist alles vorbei. Wir verlassen das Stadion (Draußen: Keine Gesänge). Ich fühle mich fröhlich, aber nicht ekstatisch. Das Gefühl, dass der Gewinn eines Meistertitels im Fußball bei mir hinterlässt ist signifikant anders. Als wir zurück zum Auto laufen, habe ich den Eindruck, soeben eine wichtige Erfahrung bzgl. des Unterschiedes zwischen deutscher und japanischer Kultur gemacht zu haben. Die Zügellosigkeit, die ich von zu Hause kenne, scheint hier undenkbar. Die Freude ist da, aber sie ist nicht so ungehemmt, sondern ruhiger, geordneter – erinnert mehr an Zufriedenheit als an Ektase. Autokorso stehen außer Frage. Das Picknick ist vorbei, Fukuoka ist Meister.
Wir fahren nach Hause.
Und damit zurück ins Studio nach Hamburg.